Am letzten Wochenende ging's kurzentschlossen mit zwei Fliegerfreunden, Klaus und Jan, zum Gleitschirmfliegen an den Lago Maggiore nach Laveno.
Der Wetterprognosen waren gut und in der Tat hatten wir 3 Tage lang tolles Wetter bei über 30 Grad. Flugtechnisch hatten wir allerdings nur mittelprächtige Bedingungen: Die Basis (das ist die Grenze bis zu der man maximal aufsteigen kann) lag bei nur ca. 1500m. Das heißt, dass man viel herumstochern muss um nicht "abzusaufen". Keine Grundlage für entspanntes Fliegen. Vor allem ist es bei geringer Thermik nur sehr schlecht möglich "auf Strecke" zu gehen – also dem Fliegen von Berg zu Berg.
Da wir erst freitags nachts losfahren konnten und samstags um 8:00 Uhr in Laveno ankamen, waren wir entsprechend müde. Dennoch hatten wir an diesem Tag noch einen schönen Flug vom Monte Lema.
Am nächsten Tag hatten wir Lust noch ein neues Fluggebiet kennen zu lernen und machten uns auf nach Cornizzolo.
Nach dem Start ging es erst mal Bergab und ein ständiges Suchen nach Aufwinden begann. Ca. 1h später hatte ich den Hang und seine Umgebung zum x-ten Mal überflogen, aber ich schaffte nicht mal mehr Startplatzhöhe. Es wurde jedoch etwas thermischer und als ich einen schönen "Bart" erwischte, entschloss ich mich trotz weiterhin schlechter Vorraussetzungen eine kleine Strecke zu fliegen. Der erste kleine Hüpfer (1km) zum nächsten Berg war kein Problem. Von dort flogen ein paar andere Piloten zu einem kleineren Berg in der Nähe von Cornizzolo, von dem man allerdings nicht weiterfliegen kann. Ich hatte Mut gefasst und wollte versuchen eine größere Distanz zurückzulegen. Das nächste Tal war 3km lang und auf der anderen Seite angekommen beobachtete mich ein wilder Gemsbock bei meiner verzweifelten Suche nach Aufwinden. Die Suche war nicht gerade von Erfolg gekrönt – ich konnte nur etwa 200m Höhe gewinnen und entschloss mich lieber gleich den nächsten Sprung zu wagen, bevor ich total absaufen würde. Die nächsten 3km über den Lago Di Lecco waren herrlich – aber auch sehr lange und so kam ich mit nur noch ca. 250m Höhe über Grund an einer Felswand nördlich von Lecco an. Dicht am Feld entlangkratzend nutze ich jeden kleinsten aufsteigenden Luftzug, verlor aber stetig an Höhe und bereitete mich mental schon auf eine Landung auf einem nahe gelegenen Sportplatz vor. Ich unternahm den letzten Versuch an der Felswand vorbei, an der zum See zugewandten Seite des Berges bessere Bedingungen zu finden. Ich hatte kaum damit gerechnet, wurde aber mit, zwar ruppigen, jedoch zuverlässigen Aufwinden belohnt, die mich nach und nach wieder auf über 1000m hochschaufelten. Ich konnte etwa 100m über das Gipfelkreuz aufdrehen, winkte noch einigen Wanderern zu und machte mich dann auf zu meinem letzten 4km Jump, einem östlich von Lecco gelegenen Felsmassiv. Dort angekommen hatte ich vor noch einmal an Höhe zu gewinnen und relaxed den Tag mit einer Landung irgendwo auf einem Acker ausklingen zu lassen. Leider fand der Tag einen ganz anderen Abschluss…
An einer Felswand versuchte ich, wie gehabt, wieder Aufwinde zu erhaschen. Nachdem ich dreimal an dem Massiv entlang geflogen war und ich gerade eine Kurve beendete um abermals an der Wand entlang zu fliegen, geschah alles ganz schnell: 60-80m unter mir kleine Laubbäume. Direkt vor mir die Felswand. Über mir … kein Schirm! – zumindest nicht da wo er hingehört. Ich hatte einen sog. Strömungsabriss. Der Schirm fliegt zu langsam, verliert sein Profil und klappt zusammen wie ein Putzlumpen, den man auf den Boden wirft. Kaum hatte ich das begriffen, ging der Gleitschirm auch schon wieder auf und schoss so stark vor, dass er unterhalb vor mir war – im schönen bildlichen Kontrast zur ca. 20m entfernten, nun mir angsteinflössenden Felswand. Wenn der Schirm unterhalb vor einem ist, ist nichts mehr da, was einem oben hält und so fiel ich erst mal einige Meter ins Leere bis der Schirm wieder über mir war. Der Rest der Achterbahnfahrt bestand darin, dass der Schirm nun zwar über mir, aber leider nicht vorwärts flog, sondern einseitig rückwärts und mich dadurch schräg in eine Kurve schleuderte. Für einen kurzen Moment sah ich noch die Bäume aufblitzen und mir war klar, dass es jetzt gleich krachen würde. Rückwärtsfliegend dreschte ich durchs splitternde und krachende Gehölz. An diese Bilder kann ich mich nicht mehr erinnern – ich vermute ich hatte in diesem Moment die Augen zu.
Hangabwärts auf meinem Gurtzeug sitzend, fand ich mich am Boden wieder. Die Bäume sahen aus der Luft viel größer aus! Tatsächlich waren es nur Unterarmdicke ca. 4-6m hohe Bäumchen, die meinen Sturz nicht komplett abfangen konnten. Ich bin bis auf den Boden durchgeschlagen! Nach einer Gedenksekunde löste ich meine Beingurte und den Brustgurt und stand auf. Bestandsanalyse. Ich tastete alle Körperteile ab und suchte nach größeren Verletzungen. Wenngleich diverse Körperteile sich etwas taub anfühlten, so schien noch alles am rechten Platz zu sein und seine Aufgaben erfüllen zu können. – Hurra wir leben noch!
Nun konnte ich auch Jans SMS mit der Frage "Ei wo bisten?" beantworten: "Abgestützt!" – wie gut, wenn mit einem Wort alles Wichtige gesagt ist…
15 Min später suchte ein Rettungshubschrauber nach mir. Irgendwelche Passanten müssen meinen Absturz gesehen haben. Zunächst an der falschen Stelle suchend, dreht er nach 30min ab. Wir haben der Polizei den glücklichen Zustand meiner weitgehenden Unversehrtheit mitteilten. Nach zwei Stunden vergeblichen Mühen meinen Schirm aus den Bäumen zu befreien, verlassen mich meine Geduld und Kraft. Außerdem ging die Sonne schon langsam unter und ich hatte noch einen ungewissen Abstieg über extrem steile Geröllfelder vor mir. Zur Rettung meines Schirmes folgte eine sehr gewagte Kletteraktion auf einen morschen 6m-Baum, was mich nervlich noch mehr mitnahm als der Absturz selbst (ich weis heute noch nicht, wie dieses Ästchen mein Gewicht halten konnte). Etwa eine Stunde später fand ich den Weg zurück zur Zivilisation: Aus den Büschen krabbelnd, voller Dreck, schweiss gebadet komme ich an ein Gasthaus.
Gäste und Bedienstete schauen mich an, als wäre ich gerade im Krieg von der Front gekommen. Sie erkundigten sich mehrfach ob es mir auch wirklich gut geht und beschenkten mich mit einem Sandwich und einem kühlen Radler. *lecker* Tat das gut!
Jan und Klaus holten mich mit dem Auto am Gasthaus ab und wir machten uns auf die Rückfahrt nach Laveno.
Resümee: Ich hatte verdammt mächtiges Glück! Nicht nur, dass mir nichts Schlimmes passiert ist, sondern auch meiner Ausrüstung geht es gut. Mein Gleitschirm scheint absolut unversehrt, Vario, GPS und sogar der Camcorder, den ich an einer Stange ungeschützt vor mir herausragen hatte – alles ist noch heil. Die einzigen Blessuren die ich davon getragen habe sind Prellungen und starke Abschürfungen am rechten Bein. Außerdem muss mir bei der Schirm-Rettungsaktion Baumrinde oder sowas ins Auge geflogen sein, denn mein Auge hat sich sehr stark entzündet. Montag- auf Dienstagnacht hat Jan mich deshalb sogar in Darmstadt noch zur Notambulanz der Augenklinik gefahren. Am Mittwoch war ich dann noch mal beim Arzt. Mittlerweile hat sich die äußere Entzündung gelegt. Was mir aber sorgen bereitet ist die Tatsache, das ich mit dem rechten Auge nur sehr unscharf sehen kann. Ich muss am Montag dringend noch einmal zum Arzt.