Iran, Sar-e Eyn, Kilometer 5.766
Unsere geplante Route durch Iran führt uns zunächst in Richtung Kaspisches Meer. Wir erreichen Tabris. Mit 1,5 Millionen Einwohner unsere erste große Stadt in Iran. Der Verkehr ist dicht und chaotisch. Von den wenigen Ampeln, werden den wenigsten Beachtung geschenkt. Aus zwei Fahrspuren werden Drei oder Vier. Taxen halten unvermittelt mitten auf der Strasse um neue Gäste ein- und aussteigen zu lassen. Das ständige Hupen mischt sich mit dem Brummen der anfahrenden Autos. Mit erhöhter Aufmerksamkeit schiebe ich mich durch den Verkehr. Ich muss lernen mich dem stetigen Fluss der Blechlawinen anzupassen. Wieder in Gedanken an den Verkehr der uns in Indien erwartet, sehe ich die Sache entspannt und genieße es sogar mitten drin zu sein, im Leben einer persischen Großstadt. Außerdem hat es auch klare Vorteile in einem LKW zu sein: Wir sitzen hoch über dem Verkehr, behalten einen guten Überblick und einem schnaubenden Dickschiff wird mehr Respekt erwiesen als einem kleinen Auto.
Wir wollen die Stadt sehen und ein paar Lebensmittel einkaufen. Da es keine Parkplätze gibt, schon gar nicht für unser Fahrzeug, tun wir es den Einheimischen gleich und parken frech am Straßenrand im Halteverbot. Keine 10 Meter vom LKW entfernt gibt lecker frisch gepressten Saft. Beim Bezahlen wird offensichtlich, dass wir Fremde sind. Dies entgeht auch einer jungen Passantin nicht und wieder einmal werden wir in englisch gefragt, ob wir Hilfe benötigen. Das Bezahlen der Getränke bekommen wir natürlich alleine hin, aber wir fragen nach dem Bassar. Sie hätte Zeit und könne uns dorthin begleiten. Das sei nicht nötig, aber schön. Schließlich verbringen wir den ganzen Tag mit Leila. Die junge Lehrerin kam gerade vom Unterricht an einer Schule. Komplett in schwarz gekleidet, trägt sie eine Kleidung, wie wir sie überall sehen. Ihre Haare und Hals verdeckt sie mit einem vorgeformten Stoff, der wie eine Haube einfach über den Kopf gezogen wird und bis über die Schultern reicht. Darunter trägt sie einen recht modernen, langen Mantel.
In den langen, dunklen, überdachten Gassen des alten Basars herrscht emsiges Treiben. Wir bewundern persische Teppichkunst, glitzernde Waren aus Gold und Edelsteinen. Wir decken uns mit Obst und Gemüse ein, kaufen leckere Datteln.
Wir schlendern an Kleider-Boutiquen vorbei und Leila kommt auf Esthers Mantel zu sprechen. Woher das gute Stück denn sei, frag sie und bestätigt, dass der Fummel nicht gerade en vouge ist. Also gehen wir Shoppen, was auch mir ausnahmsweise recht ist, denn ich möchte, dass sich Esther wohl fühlt und gefallen hat mir der Fehlkauf aus der Türkei ohnehin nicht. Wir werden fündig. Ihr neuer Mantel aus angenehm dünnen Stoff ist figurbetont und wird Esther auch außerhalb der Islamischen Republik noch gerne tragen können.
Zum Abschluss führt uns Leila in ein angeblich besonders gutes Restaurant. Der Blick auf die Karte sagt uns zwar nichts, da wir die Schrift nicht lesen können, doch die Übersetzung ist einfach: Kebab in allen Varianten. Dabei wären wir froh gewesen ein anderes iranisches Gericht kosten zu dürfen.
Leila empfiehlt uns auf dem Weg zum Kaspischen Meer einen Stopp bei Sar-e Eyn einzulegen. Dort gibt es ein berühmtes Badehaus mit Wasser aus heißen Quellen. Das hört sich verlockend an, vor allem weil man duschen kann. Zwar können wir auch im Auto duschen, dies jedoch sehr sparsam, um unsere Wasservorräte zu schonen. Ansonsten hat sich unsere „Dreckschleuse“ im Eingangsbereichs des Wohnkoffers sehr bewährt. Bekannte bezweifelten, dass die nur 1,5cm hohe Duschwanne überlaufen würde. Doch meine Konstruktion mit Abläufen in allen vier Ecken lässt auch ein Duschen zu, wenn das Fahrzeug nicht gerade steht.
Natürlich ist ein gemeinsames Baden mit Männern und Frauen in Iran undenkbar. Bereits vor dem Gebäude werden die Geschlechter getrennt. Ich verabschiede mich von Esther für die nächsten zwei Stunden und begebe mich zum Männer-Eingang auf der anderen Seite der Therme. 20.000 Rial kostet der Eintritt, knapp 1,50 €. Als erstes gebe ich die Schuhe ab und darf in eine der herumliegenden Badeschlappen schlüpfen. Ich verzichte und bin froh meine eigenen Flip-Flops dabei zu haben. Im Schwimmbecken schwappt eine gelbbräunliche Brühe. Das ganze Bad hat diesen nicht besonders einladenden Farbton, doch die Farbe kommt vom hohen Schwefelgehalt des Wassers. Mit etwas Überwindung steige ich in das etwa 35°C warme Wasser. Da das Becken recht klein ist und viele Männer darin planschen ist an Schwimmen ist zu denken. Zudem beträgt die Wassertiefe nur 1,30m – vermutlich, weil kaum einer der Gäste richtig Schwimmen kann, denn die Meisten bewegen sich im Schwimmstil „Hund“ durch das Wasser. Es herrscht eine ausgelassene, fröhliche und lautstarke Stimmung, doch gleichzeitig wollen sich die Männer gegenseitig imponieren, da es hierfür jedoch nicht viele Möglichkeiten gibt, beschränkt es sich darauf spektakulär ins Wasser zu fallen und anschließend möglichst lange leblos mit dem Kopf nach unten im Wasser zu treiben. Ich beobachte dieses lustige Verhalten ein wenig und begebe mich anschließend in die Sauna. Während meines zehnminütigen Besuches, stelle ich fest, dass auch die Art des Saunierens in Iran von unseren deutschen Gewohnheiten stark abweicht. Die Badehose bleibt angezogen, Handtücher werden keine verwendet. Es geht zu wie auf dem Bahnhof, beim Kommen und Gehen wird selten die Türe geschlossen. Ein durchschnittlicher Saunagang dauert etwa eine Minute und in dieser Zeit finden möglichst Leibesübungen statt. Das können wildes wirbeln mit den Armen sein oder einfache Strechübungen. Wo sich jeder Deutsche Saunagänger in seiner Ruhe gestört fühlen würde, amüsiere ich mich und als jemand anfängt Liegestützen zu drücken, musste ich mir das Grinsen ernsthaft verkneifen.
Wenig später frage ich Esther nach ihrem Erlebnis. Erwartungsgemäß ging es bei den Frauen ruhiger zu. Meist saß man am Beckenrand und ließ die Beine ins Wasser baumeln. Etwas störend empfand sie den Röntgenblick mit dem sich die Frauen gegenseitig visuell inspizierten und ist nun ein wenig froh wieder ihr Kopftuch und Mantel tragen zu können. Denn mit ihrem neuen Mantel aus Tabris fühlt sie sich sogar richtig schick.
Wir fahren weiter. Bis zum Kaspischen Meer sind es nur 100km. Bei dem bisher durchweg guten Straßenzustand werden wir dort noch heute ankommen.