Iran, Giesum Beach am Kaspisches Meer, Kilometer 6.007
Ich dachte am Strand von Choubar Talesh endlich mal die Gleitschirmausrüstung auspacken zu können, die wir schon seit unserem Tandem-Flug in Österreich hunderte Kilometer nutzlos durch die Landschaft schaukeln.
Yazer, unsere Bekanntschaft aus Choubar Talesh, erklärt, dass wir zwar fliegen können, fragt aber gleichzeitig, wie lange wir brauchen um alles zusammen zu packen, wenn man gelandet ist. Wieso er das wissen will, wird mir schnell klar, denn verboten sei es nicht, mit dem Gleitschirm herum zu fliegen, aber explizit erlaubt sei es auch nicht.
Das liegt daran, dass solche Hobbys in Iran eher selten sind. Würde ich hier fliegen, käme es am Strand zum Volksauflauf, bei der sicherlich die Polizei mit von der Partie ist und die wäre mit der Rechtslage überfordert. Da kann einem dann alles blühen, tendenziell eher nichts Gutes.
Eine andere Herangehensweise wäre das Einholen einer Genehmigung zum Fliegen. Da aber erst mal jemand gefunden werden muss, der es auf seine Kappe nimmt, eine Erlaubnis zum Fliegen zu erteilen, ist Behördenjogging vorprogrammiert.
Yazer gibt uns den Hinweis, dass 60km weiter auf einem öffentlich Strand solche Aktivitäten durchgeführt werden. Das hört sich sehr nach einer Touristenecke an. Das dort tatsächlich Gleitschirm geflogen wird, glaube ich dennoch nicht. Wir machen uns auf, um die „Giesum Beach“ zu finden, dessen Ausschilderung wir wenig später folgen. Die schmale Straße führt uns durch einen Auwald. Wir kommen uns nicht vor wie im Iran, sondern eher in der Rheinebene.
Kaum verlassen wir den Baumbestand, durchfahren wir die Pforte der abgegrenzten Strandanlage. Diese scheint ihre touristischen Glanzzeiten schon länger hinter sich zu haben. Viele der Bungalows stehen leer und zerfallen langsam. Der Anblick ist nicht ungewöhnlich. Eigentlich schon seit dem wir Österreich verlassen haben, scheint es Usus alte Gebäude einfach sich selbst zu überlassen, statt sie abzureisen.
Zwischen diesen Bungalos, die wohl mal als Übernachtungsmöglichkeit dienten, und dem Meer reihen sich viele kleine Buden. Mit Teppichen und Kissen ausgelegt Podeste laden zum Chillen ein. Die Wasserpfeife, Shisha genannt, gehört beim Entspannen so selbstverständlich dazu wie der Tee. Doch Gäste sieht man kaum, es ist wenig los.
Wir fahren mit dem LKW einfach gerade aus und kommen kurz vor den Wellen zum Stehen. Es ist, als würde jeden Moment eine Fähre aus dem Nichts auftauchen, uns Aufnehmen und eine Weiterfahrt ermöglichen. Eine ganze Weile sitzen wir noch im Fahrerhaus und genießen den Blick in die Unendlichkeit.
Doch schnell sind unsere Gedanken wieder bei den Standardfragen. Können wir hier stehen bleiben? Ist es hier sicher? Was für Leute treiben sich hier Nachts wohl rum?
Ein paar Jugendliche, vertreiben sich mit lautstarker Musik im Auto ihre Freizeit. Ich male mir aus, wie sie in der Nacht zu einer Meute Besoffener werden und unser auffälliges Fahrzeug als willkommenes Opfer für etwaigen Vandalismus her halten muss. Diese, vielleicht nicht völlig bei den Haaren herbeigezogenen, aber dennoch recht unwahrscheinliche Überlegungen lassen mich – wieder einmal – nicht sonderlich gut schlafen. Zwei-, dreimal, wache ich auf und meine Geräusche zu hören, die auch tatsächlich durch nächtliche Strandbesucher verursacht werden, die zum Teil um unser Fahrzeug streunen. Randaliert wird jedoch nicht.
Ich mache mir zu viele Sorgen was Nachts alles passieren könnte, aber auch am Tag, beim Fahren, sind meine Gedanken oft beim LKW und was dort den Geist aufgeben und zu schwierigen Problemen führen könnte.
Von außen betrachtet gehört mir eine geklatscht und gesagt, „Mensch, mach Dich locker! Genieße den Urlaub und hör auf Dich unnötig zu stressen“. Wenn das mal so einfach wäre.
Am nächsten Tag parken wir um und stellen uns ans Ende des umzäunten Geländes vor ein Kiosk. Wir bauen ein wenig Kontakt mit den jungen Besitzern auf, fühlen uns etwas sicherer und verbringen schließlich noch drei weitere Tage dort.
Endlich komme ich dazu die Motorschirmausrüstung auszupacken. 20km fliege ich an der Küste entlang und bestaune die Landschaft von oben. Unzählige Reisfelder reichen bis fast ans Meer. Dahinter die steil aufsteigenden Berge, die für dieses feucht-warme Klima verantwortlich sind. Menschen auf den Feldern und am Meer winken mir zu. Ich genieße es endlich wieder in der Luft zu sein.
Auf dem Rückflug, kurz vor Erreichen des Strandes, gebe ich noch einmal Gas und gewinne rasch an Höhe – zur Sicherheit, denn ich steuere auf die offene See hinaus. Unter mir tanzen winzige Schaumkronen. In einem großen Bogen fliege ich zum Strand zurück und kurve ein paar extra Manöver für die schaulustige Menge, bevor ich heil auf den Boden zurückgleite. Budenbesitzer und Strandbesucher sind gleichermaßen an meinem Fluginstrument interessiert. In Deutschland erlangt das Motorschirmfliegen immer größerer Beliebtheit, in Iran ist es der absolute Ausnahmefall. Zumindest hier am Strand war es sicherlich eine Premiere.
Noch am gleichen Nachmittag brechen wir nach Tehran auf. Auf der Höhe von Rasht nehmen wir Kurs über die Berge nach Süden.