Iran, Absard, Kilometer 6.364
Auf unserem Weg nach Tehran kommen wir am Sefid Rud Stausee vorbei. Auf dieser Passhöhe pfeift der Wind so stark, dass es den LKW hin und her schüttelt. Wir legen einen kurzen Stopp ein und lassen uns kräftig den Wind durch die Haare pusten. Zahlreiche Windkrafträder belegen, dass dieses stürmische Wetter hier wohl zur Regel gehört.
Am nächsten Tag erreichen wir Tehran. Es ist 31° und die Luft steht. Da wir nichts zu erledigen haben, beschränkt sich unser Großstadtausflug auf einen Spaziergang durch ein Universitätsgelände und der Besuch eines Restaurants, das in unserem Reiseführer empfohlen wurde. Doch aus den erhofften Gaumenfreuden wird leider nichts. In wenig reizvoller Atmosphäre bekommen wir wieder nur Kebab und Khorescht, ein Linsengericht, welches (hier) leider nach nichts schmeckt.
Uns ist es zu heiß in der Stadt und wir versuchen Richtung Osten in die Berge zu flüchten. Wir übernachten in einer kleinen Seitenstrasse eines Dorfes, wo sich Kinder in der Nacht einen Streich erlauben. Wild hämmern Sie gegen die Koffertüre und rennen weg, so dass auch Esther, aus ihrem all nächtlichen Winterschlaf aufschreckt. „Schellekloppe“ für Globetrotter.
Am nächsten Tag finden wir einen schönen Stellplatz auf einem Hügel über der Stadt Absard. Dort befindet sich gerade ein Ausflugsgelände mit vielen Pavillons im Bau, wie wir sie oft in der Türkei sahen. Die Straße endet auf der Spitze der Anhöhe, wo sich eine Wasserpumpstation befindet. Frisches Wasser sprudelt aus einem Hahn, wir haben eine schöne Aussicht und die Luft in 2000m über Meer ist angenehm frisch. Was braucht man mehr?
Drei Tage bleiben wir auf diesem Ausguck. Esther kümmert sich um die Wäsche, ich mich um den Innenausbau, der hier endlich sein Endstadium erreichen wird. Ich schließe den Boiler an eine elektrische Schaltung, die vollautomatisch dafür sorgt, dass bei vollen Batterien die Sonnenenergie zur Warmwasser-Erzeugung genutzt wird. So können wir unsere üppigen 850 Watt Solarleistung sinnvoll nutzen. Denn trotz Notebook, Wasserpumpe, 230V-Spannungswandler, Kühlschrank und weiteren Stromverbrauchern sind die Batterien meist schon am Vormittag wieder bei 100% Ladezustand. Bisher war der Boiler ausschließlich im Wasserkreislauf der Eberspächer Dieselstandheizung eingebunden, die wir bei den derzeitigen Außentemperaturen natürlich nicht in Betrieb haben.
Im Fahrerhaus klebe ich unsere Haverkamp Splitter- und Sonnenschutzfolien ein. Letztere Eigenschaft werde ich vor allem in den nächsten Tagen in der Wüste noch zu schätzen lernen.
Wir bekommen Besuch. Ein Feuerwehrauto nähert sich unserem Ausguck. Drinnen sitzt zu meiner Verwunderung Bahram, ein Feuerwehrmann aus Absard, den wir auf der Suche nach einem Stellplatz bereits in der Stadt kennen gelernt haben. Er muss uns von der Stadt aus auf dem Hügel entdeckt haben. Er fragt ob alles in Ordnung sei, will uns Hilfe anbieten, zum Essen einladen – das ganze Programm iranischer Gastfreundschaft. Er versorgt uns schließlich mit Kartoffeln, Gurken, Thunfisch und Cola. Wieder einmal gelingt es uns nicht, wenigstens die Waren bezahlen zu dürfen.
Ich führe die regelmäßige technische Sichtkontrolle am LKW durch und stelle fest, dass einer der hinteren Trommelbremsen feucht ist. Als Bahram noch einmal nach unserem Wohlbefinden schaut, erkläre ich routiniert in Zeichensprache, dass wir eventuell eine Werkstadt benötigen und folgen ihm zurück in die Stadt.
Dort halten wir auf der Straße vor der kleinen Feuerwehrleitstelle von Absard. Es findet sich ein Englischlehrer ein, der mir erklärt, dass es zwar keine Werkstatt gäbe, aber in zwei Stunden ein Mechaniker vorbeikommt. Also fange ich an das Rad selbst zu demontieren. Etwa zehn Männer sind inzwischen am Tatort und wollen mehr oder weniger alle helfen. So konzentriert sich meine Arbeit immer mehr darauf, die Lage unter Kontrolle zu halten. Auch Esther versucht die Männer von irgendwelchen Aktionen abzuhalten, während ich im Fahrzeug nach Werkzeug suche.
Einer der Männer versucht das 130kg schwere Rad alleine von den Achse zu ziehen und will sich dabei nicht helfen lassen. Als er schließlich so am Rad reißt, dass er dabei den Planetengetriebedeckel mit abzieht, greife ich energisch ein. Doch jeder weiss es besser als ich und alles sei kein Problem. Auch als wir die Bremstrommel abziehen und eine total verschmierte Bremsanlage zum Vorschein kommt, wird mir von einem selbsternannten Mechaniker vermittelt, dass doch alles in Ordnung wäre. Darauf muss ich ironisch laut Lachen und meine, dass eine Bremse vielleicht in Iran so aussehen darf, bei mir aber nicht. Die Bremswirkung dürfte in diesem Zustand gegen Null gehen. Ich gehe auf Ursachenforschung. Ein Lecken der Bremszylinder schließe ich aus, da ich alle Zylinder noch vor Abreise austauschte. Außerdem ist es dort trocken.
Während ich mit einer Dose Bremsenreiniger den Schleim von der Bremse sprühe und mich frage woher der kommt, werden mir von der umstehenden Menge unsinnige Ratschläge erteilt. Im Gewusel der Menschen steigt ausgerechnet Bahram ins Fahrerhaus und tritt plötzlich kräftig auf die Bremse, was bei demontierter Bremstrommel tunlichst vermieden werden sollte. Die Bremse hängt sich komplett aus, Bremsflüssigkeit läuft aus dem Zylinder. Im schlimmsten Fall sind nun die Manschetten des neues Zylinders zerstört. Ich schreie „No!“ und rege mich tierisch auf. Bahram ist die Aktion peinlich, doch vom Englischlehrer, der mich ohnehin mit seinem mittelmäßigen Englisch ständig verbessern will, bekomme ich erklärt, „You are to sentimental!“.
Mit dem letzten Rest Selbstbeherrschung versuche ich zu erklären, dass dieses Fahrzeug für uns weit aus mehr bedeutet als ein Kieskipper von der nächsten Baustelle und von dessen Zustand unsere Gesundheit und Wohlbefinden abhängt. Wir können nicht so lange ein sichtbares Problem ignorieren bis es irgendwann, irgendwo eine Weiterfahrt verhindert – eine in diesen Ländern allgemein gängige Praxis.
Der Englischlehrer zieht mich ein Stück von den anderen Männern weg, „You should be silent now. The people only want to help you.“ erklärt er. Und wenngleich mir seine Art wie er mit mir spricht nicht gefällt, hat er Recht. Die Leute wollen wirklich nur helfen und das ich hier so rumbrülle, gehört sich schon mal gar nicht. Also mäßige ich meinen Tonfall und erklären ihm, das ich es wirklich klasse finde, dass alle Leute helfen wollen, doch genau genommen keine große Hilfe darstellen.
Mit vereinten Kräften schaffen wir es die Bremse wieder einzuhängen und die Stösel des Zylinders in die richtige Position zu bekommen. Mit telefonischer Unterstützung aus Deutschland gehen wir alle möglichen Fehlerquellen durch, doch erst einmal kann ich nur die Bremse reinigen, damit sie wieder ihre Wirkung erzielt und alles wieder zusammen bauen. Ich werde die Bremse weiter beobachten und das Rad zur Kontrolle demnächst noch einmal demontieren.
Für eine Weiterreise ist es schon zu spät. Wir entschließen uns die Nacht vor der Feuerwache zu verbringen. Bahram hat Bereitschaftsdienst und versorgt uns mit Tee und wir leihen ihm ein paar DVDs, die er und seine Kollegen gerne mit uns gemeinsam in der Wache schauen möchte. Doch „Law of Attraction“ und „Cashback“ kennen wir schon und was wir viel mehr brauchen ist Ruhe. Doch die bekommen wir leider nicht. Immer wieder klopft es an der Türe, mal steht Bahram davor, mal die Polizei, die uns mittlerweile auch entdeckt hat. Letztere scheint uns wirklich den letzten Nerv rauben zu wollen. Zunächst der obligatorische Visa- und Ausweis-Check. Doch wenig später, „Tock-Tock-Tock!“, stehen die beiden Polizisten wieder vor der Türe. Nun wollen sie von allen Dokumenten eine Kopie: Alle(!) Seiten der Reisepässe, Führer- und Fahrzeugschein. Nützlich, dass wir unseren Multifunktionsdrucker dabei haben, mit denen ich die gewünschten Duplikate erstelle. Ich überreiche den beiden die Kopien und damit sollte es nun genug sein. Doch weit gefehlt, etwa 20 Minuten darauf, „Tock-Tock-Tock!“. Nun wird die Sache etwas beängstigend, denn wir sollen zur Polizei mitkommen. Die beiden können kein Wort englisch, was die Kommunikation erschwert. Mir schießt ein Satz der letzten eMail meiner Schwester Maike durch den Kopf, „…wie schnell man in Iran für Nebensächlichkeiten ins Gefängnis kommen kann…“.
Während unserer Verständigungsversuche steht mir Behram zur Seite. Das hilft zwar wenig bei der Kommunikation, denn auch Behram kann kein Englisch, doch stellt er für mich ein moralischer Beistand dar. Esther bleibt im Bett und lauscht dem Geschehen durch das offene Fenster.
Der Hintergrund, zur Polizeiwache mit zu kommen, klärt sich jedoch schnell. Man sei besorgt, dass es hier auf der Strasse nicht sicher für uns sein. Ich erkläre, dass ich hier vor der Feuerwehr doch super aufgehoben bin, was Behram seinerseits bestätigt.
Das Hauptproblem scheint jedoch ein Vorgesetzter der Polizisten zu sein, mit dem die beiden ständig telefonieren. Immer wieder bekomme ich das Mobiltelefon in die Hand gedrückt, doch auch der Kollege am anderen Ende der Leitung spricht nur Wörterbuch-Englisch. Irgendwann nach Mitternacht überreden wir auch den Polizisten am Telefon, dass wir stehen bleiben können.
Am nächsten Morgen verabschieden wir uns von der Feuerwehrmannschaft und brechen auf. Die Aktion mit den Bremsen und der Polizei hat uns Nerven gekostet. Was das Helfen anbelangt, so befindet man sich im Zwiespalt, wenn einem alle Helfen wollen und man verzweifelt versucht zu vermitteln, dass diese Art von Hilfe nicht zielführend ist. Die Menschen in diesem Land empfinden es quasi als Pflicht bei einem Problem zu helfen, ob sie es tatsächlich können ist hierbei nebensächlich. Hilfe abzulehnen verursacht Unverständnis und Enttäuschung. Doch die Beziehung eines Overlanders zu seinem Fahrzeug ist nahezu unmöglich zu vermitteln. Wir haben daraus gelernt ein zukünftiges Problem erst gar nicht anzusprechen, sondern werden versuchen es erst einmal selbst in den Griff zu bekommen.
Das uns die Polizei ausgerechnet in der gleichen Nacht den Schlaf raubt, ist schlichtweg Pech. Im Nachhinein wundere ich mich, dass ich dabei so gelassen blieb, denn genervt war ich ohne Ende. Letztlich mag es am bedachten Verhalten gelegen haben, dass unserem Wunsch nachgekommen wurde und wir wenigsten an Ort und Stelle die Nacht verbringen konnten.
Wir kaufen uns noch schnell frischen Brot und befinden uns bereits auf dem Weg nach Süden, Richtung Yazd – zum ersten Mal in die Wüste!