25.12.2009
Der Weg nach Osten – Tibet zum Zweiten
Zhangmu, Tibet, China, Kilometer 23.020
Um auf dem Landweg von Deutschland nach Singapur zu gelangen, stehen zwangsläufig irgendwann zwei Länder zu Wahl: China oder Myanmar.
Ursprünglich hatten wir uns vorgenommen durch Myanmar zu fahren, doch uns eröffnet sich überraschend die Möglichkeit ein zweites Mal durch Tibet zu reisen, um anschließend über Yunnan nach Laos zu gelangen.
25.12.2009 – Zhangmu, Grenzstadt Nepal-Tibet, Kilometer 23.020
Von Anfang an stand für uns fest, dass wir auf dem Landweg nach Singapur reisen wollen. Ein Verschiffen unseres LKW wäre viel zu teuer und irgendwie nicht stilgerecht, um unserer Ziel zu erreichen. Doch so einfach ist es leider nicht. Zwei Länder machen es Individualreisenden mit eigenem Fahrzeug nicht leicht: China und Myanmar.
Immer wieder wird behauptet, ein Transit mit dem Auto durch Myanmar wäre nicht möglich. Wir haben uns vor und während der Reise informiert und denken ein Transit ist zwar möglich, aber an Bedingungen geknüpft, die den meisten Overlandern schnell die Lust an diesem sicher beeindruckendem Land vergehen lassen.
Es gibt einige wenige Agenturen, die einen Transit durch Myanmar organisieren. Ähnlich wie in China muss die Route im voraus geplant werden und ist dann fest vorgegeben. Übernachtet werden muss in Hotels, ein nächtigen im eigenen Fahrzeug sei nicht möglich. Dies liegt daran, dass die Hotels alle Gäste bei der örtlichen Polizei registrieren müssen.
Ein registrierter Guide begleitet die gesamte Reise und sitzt mit im Fahrzeug der Reisenden oder es entstehen die Kosten für ein Begleit-Fahrzeug.
An der Ostgrenze Myanmars liegt Thailand. Wer dort hin ausreisen möchte, muss durch ein schwer zugängliches Militär-Sperrgebiet. Konkret sieht es so aus, dass das Fahrzeug an einen einheimischen Fahrer übergeben werden muss, der dann etwa 150km alleine weiterfährt. Man selbst steigt in ein Flugzeug und landet kurz vor der thailändischen Grenze. Dort wird das Fahrzeug wieder in Empfang genommen.
Als wir uns um einen Transit bemüht hatten gab es zusätzlich das Problem, dass die Flüge regelmäßig abgesagt wurden und nicht mit Sicherheit gesagt werden konnte ob überhaupt Flüge stattfinden. Die Alternative stellt eine Ausreise nach Yunnan in China und die anschließende Einreise nach Laos dar. Für eine Reise durch China mit dem eigenen Fahrzeug müssen ebenfalls Genehmigungen eingeholt und ein Guide organisiert werden – mit den damit verbundenen Kosten.
Eine weiteres Problem: Der einzig passierbare Grenzübergang nach Myanmar liegt im indischen Bundesstadt Manipur, für dessen Einreise eine Sondergenehmigung eingeholt werden und sich der Reisende selbst kümmern muss. Die Genehmigung gilt üblicherweise nur bis zur Hauptstadt Imphal. Eine Weiterreise bis zur Grenze muss ausdrücklich ausgewiesen werden – es wurden wohl schon oft Genehmigungen ausgestellt, die in Manipur nicht gültig sind.
Durch all diese organisatorischen Schwierigkeiten und Kosten haben wir uns entschieden ein weiteres Mal durch China zu reisen. Da wir noch weitere Reisepartner gefunden haben, waren die Kosten schließlich auch weit geringer als eine Alleinreise Myanmar-China-Laos.
In Kathmandu treffen wir zum ersten Mal unsere Reisepartner für die nächsten 25 Tage durch China: Jürgen und Helga mit ihrem VW-Bus (http://www.orangetrotter.de/), Daniel mit seinem BWM Motorrad (http://www.open-explorers.com/) und Heike als „Fußgängerin“, die bei jedem von uns einmal mitfahren wird.
Die Organisation für die Chinareise musste drei Monate im Voraus erledigt werden. Esther und ich waren zu diesem Zeitpunkt in Delhi, Helga und Jürgen in Sikkim, einem Bundesstaat in Indien, Daniel in Kathmandu und Heike in Deutschland. Die chinesische Reiseagentur China Panorama Tours hat ihren Sitz in Chengdu. Dank Internet konnten wir uns Kurzschließen und einige spannende Themen diskutieren. Zum Beispiel ob wir im Winter überhaupt über den Himalaja fahren können. Immerhin stehen mehrere 5.000m hohe Pässe bevor. Mr. Dong spricht Deutsch und erklärt uns, dass der große Schnee erst Ende Januar einsetzt. Sollte es dennoch schneien, werden die Pässe ganzjährig vom Militär geräumt – das kann aber auch mal ein paar Tag dauern.
Die Agentur hat einen Puffer von zwei Tagen eingeplant. Notfalls können zusätzlich Besichtigungstage gestrichen werden – die chinesischen Auflagen sind ähnlich streng wie in Myanmar. Mr. Dong gab uns ein Vorschlag zur Route und der müssen wir nun fest folgen – zeitlich und streckenmäßig. Denn in der kleinen Aktentasche unseres Guides befinden sich Dokumente mit Fotos von uns, den Fahrzeugen, alle persönlichen und technischen Daten und Kopien unser Personalausweise. Darauf prangen wichtige Stempel, ohne die der ganze Papierkram nichts Wert wäre. An den vielen Checkpoints von Militär und Polizei, vor allem in Tibet, werden diese Genehmigungen kontrolliert. Doch das ist die Arbeit für den Guide, der abwechselnd bei einem von uns mitfahren wird – wir kennen diese Prozedur schon von unserer ersten Chinafahrt vor Kashgar nach Lhasa vor wenigen Monaten.
Doch diesmal bereiten uns zwei neue Dinge im voraus Sorgen: Dem Risiko im Schnee stecken zu bleiben und Höhenkrank zu werden. Beim Schnee haben wir wenig Einfluss und zur Sicherheit haben wir uns Schneeketten aus Lhasa bestellt, die wir an der chinesischen Grenze in Empfang nehmen werden. Bei der Akklimatisierung hingegen können wir Einfluss nehmen. Zumindest theoretisch, denn das Problem dabei ist der rasche Anstieg vom Kathmandu-Tal auf die tibetische Hochebene. Unser Vorteil mit den Fahrzeugen größere Distanzen als Bergsteiger zurückzulegen, ist gleichzeitig unserer Nachteil: Innerhalb von nur 160km steigt die Straße von unter 600m ü.N. zum ersten über 5.000m hohen Pass an.
Ein Medikament gegen die Höhenkrankheit gibt es nicht. Nur für den Notfall gibt es Präparate, die die Symptome der gefährlichen Krankheit mindern und allenfalls dafür verwendet werden, um selbstständig abzusteigen. Doch nach dem 5.000er Pass gibt es vorerst keine Möglichkeit unter 4.000m ü.N. zu gelangen.
So grübeln wir alle was die beste Mischung zwischen Vernunft und Risiko ist. Auf den ersten 160km haben wir nicht die Zeit und auch keine Möglichkeiten, um eine wie beim Bergsteigen empfohlene Akklimatisierung durchzuführen. Dazu müssten wir bereits nach wenigen Kilometern jeweils Übernachtungen einlegen.
Wir sind in Kodari angekommen, der nepalischen Grenzstadt an der Friendship-Bridge. Wir hätten uns nicht träumen lassen, dass wir noch einmal hier herkommen würden um erneut durch Tibet unsere Reise fort zu setzen. Doch so ist das Leben von Weltreisenden: Voller Überraschungen!
Kodari ist kein schöner Ort. Es ist eines der typisch schmuddeligen Grenzorte, an denen Grenzformalitäten abgewickelt und Waren umgeschlagen werden. An der engen Straße gibt es wenig Möglichkeiten zum Parken. Wir stehen im Müll und Kot. Ein Mann uriniert hinter dem LKW. Keine 3m weiter putzt sich eine Frau die Zähne. Es ist das ungeschminkte Leben Nepals abseits der Touristen-Attraktionen. Wären wir direkt von Deutschland an diesen Ort gebeamt worden, würden wir es wohl keine Sekunde hier aushalten, doch wer in diesen Teilen der Erde unterwegs sein will, muss mit solchen Situationen zurecht kommen.
Es ist spät, der Grenzübertritt ist für morgen früh geplant und wir verkriechen uns in unseren kleinen Palast. Neben dem LKW wärmen sich Kinder an einen kleinen Haufen brennenden Plastikmülls. Dies sind jene Momente an denen man sich wirklich bewusst wird, wie gut es einem geht. Morgen Abend sind wir bereits an einem anderen Ort, während diese Kinder sich ein neues giftig stinkendes Feuerchen anzünden werden.
Den Gedanken Jedem helfen zu wollen, muss man hier schnell ablegen. Zu groß ist die Armut, die einem hier immer wieder entgegen schlägt. Doch wir schauen hin, es gehört dazu, nicht nur die schönen Seiten eines Landes zu genießen, sondern sich mit allen Fassetten auseinander zu setzen. Unser kleinen Beitrag ist die Unterstützung diverser Projekte, um das Leben mancher Menschen ein kleines bisschen zu verbessern. (siehe Hilfsprojekte)
Der Plan am nächsten Morgen zügig über die Grenze zu kommen scheitert. Auf der nepalischen Seite ist das Büro zum Stempeln unserer Carnet nicht besetzt. Zuckerbrot und Peitsche helfen die Beamten in Bewegung zu setzen. Die meiste Zeit geht dabei drauf die Schlüsselperson zur Schublade mit den vielen Stempeln zu finden.
Anschließend bugsieren wir den Magirus an der wartenden LKW-Schlange vorbei. Zwischen der Felswand links und den LKW rechts sind nur wenige Zentimeter Luft. Doch es reicht und wir können bis zum weißen Strich auf der Mitte der Friendship Bridge vorfahren. Das ist die Grenze zwischen Nepal und China. Auf der anderen Seite der Markierung stehen zwei Soldaten vom chinesischen Militär und kontrollieren die Pässe.
Nachdem wir einige Zeit auf unseren Guide warten müssen, stellt sich heraus, dass ein Stromausfall die Abwicklung unserer chinesischen Reisegenehmigung behindert. Stromausfälle sind zu diese Jahreszeit keine Seltenheit, doch nahezu jedes Restaurant in Nepal hat einen eigenen Generator. Seltsam, doch uns bleibt nichts anders übrig als uns die Zeit zu vertreiben.
Wir nutzen die Gelegenheit die vielen Menschen, die hier zu Fuß die Grenze passieren genauer zu beobachten. Was machen die Frauen hier eigentlich für komische Sachen? In Pappkartons tragen sich große Mengen an Reisschnaps und billigen Whisky über den chinesischen Zoll. Dann packen sie alles in Tücher und schnallen sich die Flaschen wie einen Munitionsgürtel um den Bauch. Als Tarnung bedecken Tücher und Kleidung die Ware, gerne auch zusätzlich noch ein Kind auf dem Rücken. Aber so blöd kann doch kein Grenzbeamter sein, um das nicht zu merken?! Zumal das Ganze für alle ersichtlich direkt vor dem chinesischen Custom stattfindet. Doch die Aktionen scheinen geduldet zu werden und es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass der Körper einer Person nicht kontrolliert wird. Diesen Hinweis hatten wir ebenfalls bekommen, und sollten ggf. Satelliten-Telefon und GPS in der Jackentasche über die Grenze tragen.
Der Whisky-Schmuggel ist ohnehin kein erträgliches Geschäft, meint Lagbar, unser Guide. Etwa 20 Eurocent pro Flasche Gewinn lässt sich damit erzielen. Ein Dutzend Flaschen zähle ich an der Hüfte einer nepalischen Frau. Für die Ärmsten der Armen immer noch ein lohnendes Geschäft.
Wir warten nun schon über 6 Stunden. Inzwischen ist es kurz vor sechs. Um 18:00 Uhr schließt die Grenze. Unser Guide erklärt uns, die Formalitäten wären nun abgeschlossen, aber wir dürften erst morgen mit den Fahrzeugen einreisen. Das dies völlig inakzeptabel ist vermittle ich dem zuständigen Grenzbeamten, weniger durch die Wort, die er nicht versteht, als viel mehr durch die Lautstärke meiner Erklärung.
Schließlich dürfen wir doch noch als letzte Grenzgänger an diesem Tag unter dem Schlagbaum hindurch huschen. Der Beamte vom Zoll erkennt unseren Wagen wieder und wir erkennen ihn. Wir lachen und bis auf die Fahrgestellnummern wird nichts kontrolliert. In 10min sind alle Fahrzeug über die Grenze.
Nach diesem anstrengenden Tag des Nichtstun übernachten wir in Zangmu, der chinsischen Grenzstadt wenige Kilometer vom Grenzposten entfernt. Zum Abschied essen wir ein letztes Mal nepalisch: Leckere Fried Pakora, frittierte Gemüsebällchen.
Nebenbei bemerkt haben wir heute den ersten Weihnachtsfeiertag. Durch den Grenzübergang, den gar nicht winterlichen Temperaturen und dem fehlenden Glühwein, kommt bei uns keine richtige Feststimmung auf, doch wir denken an unsere Familien zuhause, die nun wohl beim traditionellen Weihnachtsessen sitzen und wir freuen uns wieder in Tibet zu sein.