Großer Wartungsstop in Izmit

Izmit, Türkei, Kilometer 2.828

Obwohl keine Großstadtfans, hat uns Istanbul sehr gefallen, doch nun lockt unser Ziel, welches nur einen Steinwurf entfernt liegt – Istanbul erstreckt sich, weltweit einzigartig, über zwei Kontinente und über den Bosporus erwartet uns Asien!

Fahrlässig stürzen wir uns zur Rush Hour in den Verkehr. Die wenigen Brücken über den Bosporus sind stark frequentiert. Im dichten Verkehr verpassen wir die ersten beiden Brückenauffahrten. Bei der Dritten finden wir den Weg, der uns hoch über die Seeenge führt. Direkt nach der Brücke versperrt uns eine Mautstation die weiterfahrt. Eigentlich nichts besonderes, zu unserer Überraschung gibt es hier allerdings keine Schranke mit Personal oder der Möglichkeit der Barzahlung und so stehen wir plötzlich ratlos vor einer Schranke und nichts geht mehr. Hinter uns wird gehupt. Das Drücken des roten Hilfe-Knopfs bringt uns, außer einer quakenden türkischsprachigen Stimme, leider auch nicht weiter. Hinter uns setzen die Auto zurück und zahlen an einer der vielen weiteren Schranken. Ein Einheimischer, der gerade eine der anderen Schranken passiert hat, erkennt unsere Not. „Sie brauchen hier eine Karte, sonst kommen Sie hier nicht durch!“, ruft er mir entgegen. Die Karten müssten wir bei einer Bank kaufen, erklärt er weiter. Wir können diese Tatsache kaum glauben. „Ich mach das mit meiner Karte, aber Sie müssen mir dafür das Geld geben.“. Gerne zahlen wir unserem Retter die Gebühren und noch ein wenig mehr.
Nachdem wir die Weiterfahrt aufnehmen, schüttle ich noch immer den Kopf. Diese kleine Erfahrung hat uns gezeigt, dass wir bereits wenige Meter auf asiatischem Boden als Exoten gelten.
Wir befinden uns noch mitten im Stadtgebiet von Istanbul. Aus Angst vor einer weiteren solchen Falle, nehmen wir die nächste Abfahrt von der Autobahn und prompt verfahren wir uns. Steuern in die komplett falsche Richtung und können erst wieder umkehren, als wir unten am Meer ankommen. Sinnlose Diskussionen, warum wir falsch gefahren sind. Prinzipiell macht mir das Fahren mit unserem 6,5m lagen, 2,5m breiten und über acht Tonnen schweren Wohnsitz auch im dichten Verkehr wenig aus. Nach allerdings zwei Stunden Istanbul Berufsverkehr mit stop and go, wird es auch körperlich anstrengend, ein 34 Jahre altes Fahrzeug zu führen. In Gedanken daran, was uns in Indien erwartet, sehen wir das bisschen Verkehr gelassen. Wenig später haben wir wieder die richtige Landstrasse gefunden und brummen weiter Richtung Izmit.

Wieder einmal fahren wir in die Dunkelheit hinein und suchen uns den erstbesten Nachtplatz. Wir parken vor irgend einem Werksgelände. In der Nacht machen sich Leute am Auto zu schaffen. Bei außergewöhnlichen Geräuschen werde ich schnell wach. Ich höre Stimmen und merke, dass sich jemand vorne am Fahrerhaus hochzieht. Durch den kleinen Schlitz unter dem Rollo erkenne ich zwei Männer. Ich warte noch einen Augenblick, doch nachdem weitere Klopf- und Rüttelproben erfolgen, ziehe ich schlagartig das Rollo hoch, öffne das Fenster und frage mit fester Stimme: „Iyi akşamlar! What is the Problem?“. Die beiden Männer sind sichtlich erschreckt, entschuldigen sich hastig und erklären zum Sicherheitspersonal der gegenüber liegenden Fabrik zu gehören. Bei unserer Ankunft bemerkte ich bereits die neugierigen Blicke aus dem Wachhäuschen und dachte mir, dass so etwas in der Art passieren könnte. Die beiden wünschen mir noch eine gute Nacht und verschwinden. Esther hat davon kaum etwas mitbekommen – sie hat einen sehr gesunden Schlaf.

Am nächsten Morgen besuchen wir den Personalchef der Goodyearfabrik in Izmit. Zwar haben wir keinen Termin, möchten dennoch kurz Hallo sagen. Außerdem haben wir einige Dinge am Auto zu erledigen und hoffen ein paar Tipps zu bekommen.

ventilspiel.jpgWie bereits erwähnt, sind wir mit unseren Reisevorbereitungen am Auto zum Startschuss nicht ganz fertig geworden. Deshalb liegen uns andauernd Dinge nervtötend im Weg herum. Ein ständiges Hin- und Herschieben, Herumheben und Suchen lässt kein echtes Wohngefühl aufkommen. Was noch wichtiger ist, sind einige Wartungsarbeiten am LKW, die noch nicht erledigt sind.
Wir bleiben deshalb ganze 10 Tage auf dem wenig attraktiven, aber bewachten Goodyear Parkplatz stehen. Wir lassen uns eine Werkstatt empfehlen, wo wir den rechten Tank kompletten ausbauen und spülen lassen und damit die Dieselpest endlich loswerden. Unseren speziellen Dieselfilter mit Wasserabscheider, der unseren Motor vor üblen Treibstoffqualitäten schützen soll, installieren wir ebenfalls und kümmern uns um das Standgas, das schon seit drei Wochen hängen bleibt und weshalb ich bei jeder Ampel, jedem Stopp, das Gaspedal mit der Hand hochziehen muss. Ventilspiel kontrollieren können wir nicht, da der Motor noch warm ist. Zwar habe ich dies noch nie gemacht, erledige ich aber zwei Tage später erfolgreich alleine auf unserem Parkplatz.

Einige Tage später besuchen wir noch einmal die Werkstatt, in der übrigens keiner auch nur einen Brocken Englisch, geschweige denn Deutsch sprechen kann. Aber das macht die Sache nur interessanter. Wir kommunizieren wieder einmal mit Händen und Füßen, am Fahrzeug kann man auch sehr schön einfach auf die entsprechenden Teile zeigen. Notfalls hilft das Wörterbuch. Mein türkischer Automechaniker redet oft Wortkolonnen in Türkisch, von denen ich kein einziges Wort verstehe. Ich fange an das gleiche in Deutsch zu tun, denn irgendwie ergibt sich im Kontext auf magische Weise ein Sinn und man versteht sich – zumindest grundlegend. Und wenn man sich mal nicht versteht, wird gelacht – oder trinkt cay, der auch hier in Strömen fließt. Ich habe viel Spass bei den Werkstattbesuchen und wir kommen gut voran: Wechsel des Planetengetriebeöl inkl. neuer Dichtung, Motorölwechsel, Auspuff vom Tankhalter wegbiegen, Ölprüfstab reparieren (konnte man komplett aus der Ölwanne ziehen), neue Lenkmanschette und einmal komplett Abschmieren. Kostenpunkt:  160 Euro für ca. 10 Stunden Arbeitszeit inkl. Material (allein 60 Euro für das gar nicht notwendig teuer Castrol-Motorenöl).
An den anderen Tagen tausche ich unsere kleine Käfer-Hupe gegen eine Kompressor-Fanfare und baue unser zusätzliches 75cm langes Drucklufthorn ein, mit dem wir wie ein Dampfer von uns aufmerksam machen können. Wichtige Vorbereitung für Indien!

geburtstagsfrisur.jpgIm Wohnbereich fehlen noch ein paar Regale zu denen wir Holz in zwei Baumärkten suchen, doch leider scheinen hier Multiplex- oder Dreischichtplatten nicht die Regel zu sein. Alles wird mit für uns völlig ungeeigneten Spanplatten zusammen gezimmert. So bleibt uns nur zu hoffen zu einem späteren Zeitpunkt fündig zu werden.
Auch die Elektronik ist noch nicht fertig – und wird sie leider auch in den zehn Tage nicht. Zum Glück sind die noch fehlenden Elemente eher Luxus, z.B. die Elektronik, die bei überschüssigem Solarstrom automatisch den Wasserboiler aufheizen kann. Bei unserer exklusiven LED-Beleuchtung hat sich bereits die zweite Steuerelektronik mit einem kleinen Rauchwölkchen verabschiedet. Ein Fehler in der Installation meinerseits. Solche Dinge lassen sich bei einmaligen Installationen leider kaum vermeiden, aber wir haben Ersatz parat und stehen Abends nicht im Dunkeln.
Wir basteln und werkeln, und alles dauert, wie immer, länger als man denkt. Kommen dann noch die üblichen Probleme hinzu, die man vorher nicht sehen konnte, ist schnell schlechte Laune angesagt.
Als ich unsere Druckluft gefederte Sitze anschließen will, kommt was kommen muss: Ich will mit einem neuen Cuttermesser ein Stück Druckluftschlauch kürzen, passe nicht auf, rutsche ab und schneide mir tief zwischen Daumen und Zeigefinger in die Hand. Esther ist schnell mit dem Erste-Hilfe-Kasten zur Stelle und verbindet mir die Hand. Wir fragen bei den Pförtnern von Goodyear nach einem Arzt. Glücklicherweise gibt es auf dem Werksgelände eine kleine Ambulanz und da ich scheinbar keine Sehne durchgeschnitten habe, lasse ich mir dort meine Wunde reinigen und mit einem Tape zuheften. Seltsam und bedauerlich, dass es erst eines solchen Ereignisses bedarf, bis ich die Sachen etwas langsamer angehe und ruhiger werde.

markt.jpgAm nächsten Tag habe ich Geburtstag und da ich nun ohnehin gehandikapt bin, entschließen wir uns mit dem Moped in die Stadt zu fahren, um mir einen Haarschnitt zu gönnen. Durch Zufall entdecken wir einen Wochenmarkt, durch den ich mit der kleinen Honda DAX rollen kann. Das Gemüse ist so günstig, dass Esther zwei große Zwiebel sogar geschenkt bekommt, da sonst nur Kiloweise verkauft wird. Wir stocken unsere Gemüsevorräte auf und wissen bald nicht mehr wohin mit all dem Essen. Nachdem in unseren kleinen Rucksack nichts mehr reinpasst, stopfe ich vorne meine Jacke voll. Das ganze muss recht witzig ausgesehen haben: Auf einem winzigen Roller zwei mit Gemüse und Obst vollbepackte Touristen. „Küçük Honda“, rufen uns die Leute grinsend zu. Ja, unsere kleine Honda, die uns Hans-Werner als Leihgabe mitgegeben hat, bereitet uns gleich auf unseren ersten Ausflügen viel Freude.

Nach ganzen zehn Tagen Parkplatz im Industriegebiet von Izmit wird es höchste Zeit zum weiterfahren. Ursprünglich war eine längere Tour durch die Türkei geplant. Durch unsere verspätete Abfahrt und weitere zehn Tage in Izmit, werden wir die Türkei nun nutzen um unser Fahrzeug endlich Reisefertig zu bekommen und steuern als nächstes Ankara an. Dort soll es ein Bauhaus Baumarkt geben. Vielleicht gibt es hier geeignetes Holz für unsere letzten Regale.

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