Iran, Maku, Kilometer 4.655
Auf unserem Nachtplatz, einer kleinen Tankstelle in Çaldıran, ist wie bei fast allen unseren Rastplätzen, früh was los und ich werde schon kurz vor fünf Uhr wach. Wir blinzeln von unserem Bett aus gegen die aufgehende Morgensonne. Wir sind etwas nervös, denn unser erster „richtiger“ Grenzübergang steht uns heute bevor, von der Türkei in den Iran.
Doch zunächst fahren wir wieder zurück nach Doğubeyazit, auf den uns bekannten Stellplatz vor einer ehemaligen Tankstelle. Der Besitzer des kleinen Restaurant freut sich uns wieder zu sehen und kommt uns grinsend entgegen. Wir suchen eigentlich nach dem freien WLAN, dass wir hier noch vor zwei Tagen nutzen konnten. Doch jetzt empfangen wir kein Signal mehr, also trinken wir erst mal einen Çay. Im Restaurant treffen wir auf Ismail, einem türkischen Trucker aus Antaky, ganz im Süden der Türkei, an der Grenze zu Syrien. Er arbeitete fünf Jahre als Fliessenleger in Heidelberg und spricht deshalb ein wenig deutsch. Er erklärt uns, dass er auf auf sein Visum für den Iran wartet, welches in etwa zwei Stunden hier ankommen soll. Sein Kühllaster steht mitten im Iran, zu dem er nun will, um dann weiter nach Turkmenistan und Usbekistan zu fahren, also die gleichen Länder die wir noch auf der Route haben. Auf meine Frage wie die Strassen denn in Turkmenistan sind, antwortet er: „Welche Straßen?“. Na, dass kann ja heiter werden. Auf seinem Laster transportiert er 22 Tonnen Apfelsinen. Er gibt uns einige Tipps und bietet an, mit uns zur Grenze zu fahren und bei den Formalitäten zu helfen.
Wir lehnen dankend ab, da wir selbst die Erfahrung machen möchten, eine solche Grenze zu überschreiten – im Nachhinein wären wir doch froh gewesen, ihn dabei gehabt zu haben.
Ismail gibt uns fünf verschiedene Telefonnummern, für jedes seiner Transitländer eine. Er bietet uns bei Problemen seine telefonische Hilfe an. Immerhin spricht er zusätzlich noch recht gut russisch. Ich verabschiede mich sehr herzlich vom Besitzer des Lokals, dem Vater der Fussballmannschaft, mit Wangenküsschen. Während unserer beiden Aufenthalte konnte ich spüren, dass er gerne mehr mit uns gesprochen hätte, aber eine unüberwindbare Sprachbarriere verhinderte ein tieferes Gespräch. Während unserer Zeit in der Türkei und im vorraus konnten wir zwar einige Wörter Türkisch lernen, dennoch bedauere ich nicht noch besser türkisch sprechen zu können.
Wir fahren noch einmal in die Stadt, um zum ersten Mal ein Internetcafé zu suchen. Bisher konnten wir immer über ein freies WLAN eine Internetverbindung herstellen. Ich bin überrascht: In Doğubeyazit gibt es eine Internetstube nach der anderen. Ich steuere eines der Läden an und öffne die verspiegelte Tür. Das Café gleicht einer Legebatterie für Internetsüchtige. Der Raum ist schmal und langgezogen. Rechts und links befinden sich 30 nummerierte kleine Nischen mit einem PC dahinter. Der Laden ist proppenvoll. Es wird gesuft, geraucht und Çay getrunken. Rechner Nr 19 ist noch frei. Wir nehmen Platz. Noch bevor ich die erste Internetseite aufrufe, werden wir mit Tee versorgt. Aus Sicherheitsgründen übertrage ich unsere Daten nicht von einem USB-Stick, sondern über eine wiederbeschreibbare DVD. So kann ich keine Viren auf mein Notebook im LKW schleusen. Leider müssen wir feststellen, dass das eingebaute DVD-Laufwerk unseres PC eine Attrappe ist. Doch dieses Problem ist schnell gelöst. An Ort uns Stelle wird der PC aufgeschraubt und ein altes, staubiges DVD-Laufwerk angeschlossen, welches tatsächlich funktioniert.
Ich kämpfe mit dem türkischen Tastatur-Layout, während Esther dem Rauch nach draußen entflieht. Da das ganze Betriebssystem in türkisch ist, passiert mir ein blöder Fehler. Die Frage ob mein gerade eingegebenes eMail-Passwort gespeichert werden soll, beantworte ich mit „Evet“, ja. Ich hangle mich durch die türkischen Untermenüs des Internet Explorers und suche ewig bis ich die Daten wieder löschen kann. Die Verbindung ist nicht berauschend, aber mir gelingt es einige größere Bilder für die Presse hoch zu laden und nach einer Stunde bin ich fertig. Kosten: 0,50€.
Auf geht’s zur 35km entfernten Grenze. Von weitem sehe ich eine LKW Schlange, an der wir jedoch frech auf der Gegenfahrbahn vorbeifahren.Vor dem ersten Grenzposten herrscht ein wenig Verkehrschaos. Ein Mann springt aus dem Gewusel hervor und schleust uns wild winkend durch die Menge. Er weicht uns nicht mehr von der Seite bis wir über die türkische Grenze sind. Er springt auf unser Trittbrett auf und hält sich am Außenspiegel fest. Ein Grenzbeamter mit wenigen Worten Deutschkenntnissen, „empfiehlt“ uns diesen Service sogar. Mehr als „Passport“ bringt unser Servicemann allerdings nicht über die Lippen. Als er plötzlich mit unseren Pässen in einem Gebäude verschwindet, werde ich etwas unruhig. Doch wenig später taucht er wieder auf und hat ein paar neue Stempel in unseren Pässen. Auf der türkischen Seite sind wir schnell fertig. Wir geben dem Mann umgerechnet 10 Euro. Sicherlich zuviel, aber wir sind froh, dass alles sehr schnell von statten ging. Wir müssen nicht einmal den LKW öffnen.
Esther zieht Ihr neues Kopftuch aus Istanbul auf und legt Ihren Mantel an. „Sesam öffne Dich“, das türkische und iranische Rolltor werden geöffnet, wir rollen 10m weiter und befinden uns im Iran. Viel Geduld für unseren weiteren Grenzübergang haben wir eingepackt und sind gespannt was nun weiter passieren wird. Auch hier findet schnell ein „Schleuser“ den Weg zu uns. Er kann wenige Brocken englisch, die mit einem Farsi-Slang unterlegt, teilweise nicht zu entschlüsseln sind.
Wir werden in eine grosse Halle geschickt. Frauen sitzen auf Plastikbänken, Männer stehen um einen kleinen Schalter herum und warten auf die weitere Abfertigung. Ich halte noch unsere Pässe in der Hand, doch ein aufmerksamer Polizei schnapp sie sich und schwupp sind sie in dem kleinen Glashäuschen unter einem Tisch verschwunden. Auf dem Tisch stapeln sich bereits türkische und iranische Ausweise. Wir wissen nicht auf was genau gewartet wird, aber alle warten. Also wir auch. In der angrenzenden Halle beobachte ich, wie scheinbar wahllos Gepäckstücke kontrolliert werden. Eine Ordnung kann ich nicht entdecken, alles scheint planlos, aber jeder macht irgend etwas.
Ein Grenzbeamten schließen das kleine Häuschen mit den Pässen auf, worauf die Männermenge an den Schalter drängt, doch dann wird grinsend wieder abgeschlossen. Das Ganze wiederholt sich ein paar mal. Lustige kleine Grenzspiele.
Ich nutze die Zeit und erkundige mich in der wartenden Menge nach der Tankkarte, die notwendig ist um an den hier supergünstigen Diesel zu kommen. Jeder erzählt etwas anderes und mehrfach bekomme ich erklärt, dass ein Liter Diesel 0,4$ kosten soll. Wenngleich das für deutsche Verhältnisse günstig erscheint, mag ich dies nicht glauben, denn mir ist ein Preis von 3 Cent pro Liter bekannt. Wo man die Tankkarte bekommen kann, finden wir ebenfalls nicht heraus.
Irgendwann geht es vorran und unser „Guide“ scheucht uns mit einem sich ständig wiederholenden „Come, come!“ kreuz und quer durch alle möglichen Türen. Routinemäßig wird nach dem Carnet de Passage, dem Zollpapier für unseren LKW und der Honda DAX, gefragt. Dieses Dokument sichert ab, dass wir unsere beiden Fahrzeuge nicht einfach im Land verkaufen. Einen großen Batzen Geld mussten wir dafür in Deutschland beim ADAC als Kaution hinterlegen.
Die Abfertigung auf der iranischen Seite dauert nun schon über drei Stunden, doch noch sind wir relaxed. Und weiter geht’s, die nächsten Stempel und Schnörkel-Zeichen auf unserem Carnet sammeln! Mittlerweile befinden sich darauf zahlreiche für uns unlesbare Notizen und mit jedem Botengang bekommen wir weitere kleine Zettel, die wir für irgendwas brauchen. z.B. für unser iranisches Nummernschild, welches wir Khoy abholen sollen, einer Stadt die 154 km entfernt liegt und sich zudem nicht ganz auf unserer Route befindet. Nun bin ich doch etwas genervt. Ich halte das mit meinem europäischen Ordnungsdenken für völligen Unsinn, was ich auch bekunde. Keiner kapiert unsere Frage, wo wir in Khoy denn hinfahren müssen, um diese Nummernschilder zu bekommen. Es heißt wir sollen dort ein Taxi nehmen, die wissen wo das wäre. Da dies aber vorerst nichts mit unserem Grenzübertritt zu tun hat, akzeptiere ich diesen Umstand – das wir diese Nummernschilder überhaupt nicht abholen werden, muss ja keiner wissen.
In Doğubeyazit bekamen wir in einer Bank die Information, Geld gut an der Grenze tauschen zu können. Der aktuelle Kurs sei 1 TL = 6.500 Real. In einer Wechselstube in der Stadt wurde uns ein Kurs von 6.000 Real angeboten, den wir aber leider ablehnten. Da wir mittlerweile nicht mehr all zu viel Euro in Bar dabei haben, heben wir in Doğubeyazit 500 TL (ca. 250Euro) mit der EC Karte ab. Die wollen wir in iranische Real tauschen. Jetzt an der Grenze, kostet uns dieses ganze Getausche und ein noch schlechterer Kurs spürbar Geld. Wir machen einen Verlust von etwa 15%.
Zwar sind wir nun schon über der Grenze, doch noch nicht ganz fertig, wir brauchen noch eine Autoversicherung.Wenngleich wir nicht damit rechnen, dass diese Versicherung im Schadensfall auch zahlt, so sollte dennoch eine abgeschlossen werden, denn die Polizei soll angeblich bei Kontrollen danach fragen. Unser „Guide“ steht uns immer noch zur Seite, allerdings sind wir inzwischen doch ziemlich geschafft und sein hektisches „Go!“ and „Come!“ stresst uns. Wir werden in ein kleines Kabuff in einem engen Häuserflur geführt, das man alleine nie finden würde. Es braucht schon Nerven und Gottvertrauen überall mit hin zu wackeln. Nach ein wenig Palaver heisst es, dass Versicherung 120 Euro kosten soll, worauf ich unmissverständlich klarstelle, dass dies definitiv zu viel ist. Der Versicherungsfutzi sucht im Rechner nach angeblichen Alternativen. Letztlich bezahlen wir 90 Euro, was mit Sicherheit immer noch zu viel ist. Doch mit dieser letzten Station unser Grenzabwicklnung sind wir mental am Ende. Über fünf Stunden mussten wir aufpassen wo unsere Pässe sind oder das Carnet, denn die Dokumente wurden so schnell eingesteckt, weitergegeben, durchgereicht, dass man alles sieben Sinne beisammen halten muss. Dennoch verschwanden die Pässe zeitweise, tauchten jedoch kurze Zeit später wieder auf.
Unserem Grenzguide geben wir umgerechnet 17 Euro, was viel zu viel war, denn am Geldwechsel und der Versicherung hat er ebenfalls gut verdient – wie wir einen Tag später erfahren, steht auf dem Versicherungsschein in persisch geschrieben, dass er 45 Euro statt der bezahlten 90 Euro gekostet hätte. Als Dank scheucht uns der Guide nach der Gabe seiner Gage unfreundlich davon. Kein schöner Einstieg in ein Land, dass uns doch so freundlich und toll beschrieben wurde. Aber es ist ja auch erst der erste Tag im Iran.
Wir stellen unsere Uhr 3,5h später als in Deutschland ein. Die Zeitverschiebung spüren wir sogar fahrender Weise mit dem LKW. Unser Tages Rhythmus hat sich noch nicht richtig eingependelt. Viel zu spät kommen wir ins Bett und stehen zu spät auf. Wir werden noch einige Zeit brauchen um unseren Tagesablauf nach der Sonne gerichtet zu haben.